Eine kleine Geschichte vom A und O

für Paolo und Clemente

"Was halten Sie davon?" Mit freundlichen Grüßen C.W.
...dazu ein Link. Das ist alles.

Der Absender der Kurznachricht, die mich am frühen Abend über meine Homepage-Adresse erreicht, ist mir unbekannt, doch vertrauensvoll öffne ich den Link und bin sofort wie verzaubert: Vor mir breitet sich eine heitere, sonnendurchflutete südliche Landschaft aus. Ein hübsches kleines Städtchen am Meer, schäumende Brandung, ein weiter, heller Himmel ...vermutlich Italien, vielleicht Ligurien. Und in der linken unteren Ecke eine vertraute Signatur ...L. HOFELICH!

Fischerdorf

Freudige Erregung erfasst mich und die wundersame Ahnung, dass sich ein neues Hofelich-Abenteuer anbahnt. Unzählige Werke Ludwig Hofelichs habe ich in den vergangenen Jahren im Original betrachtet, aber dieses hier auf dem Bildschirm ist außer einer Ansicht des Gardasee-Städtchens Torbole erst das zweite Italien-Motiv, das ich von ihm sehe. Das Gemälde gefällt mir sehr, ich verliebe mich auf der Stelle in die reizende mediterrane Szenerie im sommerlichen Licht.

Aufmerksam sehe ich mir die Detailfotos an, die der Kunsthändler seinem Angebot hinzugefügt hat. Die linksgeneigte Signatur ist identisch mit der meiner Hofelich-Gemälde. Es ist handelt sich zweifelsfrei um ein Werk Ludwigs. Er hatte einige Studienreisen nach Italien unternommen, doch in jenem Fischerdorf ist er vermutlich nie gewesen. Der rückseitige Vermerk besagt, dass Hofelich diese Landschaft nach einem Motiv seines Zeitgenossen Gustav Schönleber malte. Es ist anzunehmen, dass Hofelich und der neun Jahre jüngere Schönleber einander gekannt haben. Schönleber lebte zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn zehn Jahre lang in der Kunstmetropole München, studierte dort von 1870-73 bei Adolf Lier. In diese Zeit fallen bereits die ersten Italienreisen des hoch talentierten schwäbischen Malers. Schon den Neunzehnjährigen führt der Weg über die Alpen nach Venedig. Die mild-dunstige Atmosphäre der Lagunenstadt beeindruckt Schönleber nachhaltig. Als er aber im darauf folgenden Jahr den Küstenabschnitt von Genua bis La Spezia bereist, ist er hingerissen vom intensiven Licht der Riviera. Schönlebers malerisches Interesse gilt fortan der Bedeutung des Lichts in der Natur. Er brilliert als Meister von Licht und Wasser, die er in ihrer gegenseitigen Beeinflussung und Veränderung faszinierend darzustellen versteht. Und Ludwig folgt hier der Auffassung des jungen Künstlerkollegen und gibt den kleinen Landschaftsausschnitt wie in Gold getaucht wieder.

Ich lese mir die Beschreibung des Angebotes durch und bemerke, dass der Händler den Namen des Malers nicht korrekt bezeichnet. Trotz deutlicher Signatur und rückseitigem Vermerk in Druckschrift, schreibt er Hofelich anstatt mit O mit einem A. Mir kommt in den Sinn, dass aufgrund dieser Nachlässigkeit das Werk nicht in den Suchmaschinen der Hofelich-Sammler hängen bleibt. Die Zahl der Mitbewerber könnte sich somit in Grenzen halten. Aber sofort verwerfe ich den Gedanken wieder. Denn die Strandszene ist außergewöhnlich schön und künstlerisch meisterhaft ausgeführt. Das Bild wird daher wohl auch Kunstliebhabern gefallen, die nicht gezielt nach Hofelich suchen oder jenen, die sich nicht daran stören, dass Hofelich hier Schönleber kopiert.

Nachdem ich mich bei dem Informanten für den freundlichen Hinweis bedankt habe, schreibe ich dem Römischen Ritter unverzüglich ein Email, um ihm von der sensationelle Entdeckung zu berichten. Auch sein Suchsystem fahndet ausschließlich nach Ludwig und Wilhelm Hofelich und meldet ihm kein Werk eines "Hafelich". Mir ist klar, dass ich dem Ritter in diesem Augenblick ein Gemälde überlasse, das ich nur allzu gerne selbst besäße. Ich wundere mich ein bisschen, dass mir der Verzicht leicht fällt, schicke die Email aber ohne Zögern ab.

Inzwischen kenne ich den Kunstgeschmack des Römers recht gut. Er zieht Wilhelms Bilder denen Ludwigs vor; denn die meisten Werke des Vaters sind ihm schlichtweg zu düster, zu bedrückend. Für wolkenverhangene bayrische Moorlandschaften kann und will sich der Römer nicht begeistern. Zeitgleich zur Online-Auktion des Italien-Motivs bieten zwei renommierte deutsche Auktionshäuser drei süddeutsche Landschaften Ludwig Hofelichs an. Die Ausrufpreise sind in Stuttgart drei- in Hamburg sogar vierstellig. Die beiden Stuttgarter Angebote habe ich in Augenschein genommen, kann dem Römer aber nicht wirklich zum Kauf raten, da die Bilder thematisch weder seiner Vorliebe für Lichtes und Heiteres noch der für kraftvoll Dynamisches entsprechen. Wir haben uns daher entschlossen, sie kampflos einem chiemgauer Hofelich-Sammler zu überlassen, der Ludwigs oberbayrische Landschaften sehr schätzt. Die sonnige italienische Küstenlandschaft in der Online-Auktion jedoch, wird dem Römischen Ritter gefallen, davon bin ich absolut überzeugt.

Während ich auf Antwort aus Rom warte, keimt die bange Frage in mir auf, was wohl geschähe, wenn dem Kunsthändler ein verlockendes Sofortkauf-Angebot unterbreitet würde? Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Verkäufer dann geneigt ist, die Auktion vorzeitig zu beenden. Bisher liegen keine Gebote vor, der Händler hätte somit das Recht, das Gemälde ohne Begründung aus der Auktion zu nehmen. Das offizielle Auktionsende ist auf den nächsten Tag festgesetzt. Ungeduldig schicke ich eine zweite Email über die Alpen und warte. Als eine Antwort weiterhin ausbleibt, weiß ich, der Ritter ist nicht Online. Wo steckt er nur? Jagd, Turnier oder Tafelrunde? Vermutlich letzteres: ein ganz normales Arbeitsessen. Ein Kreuzzug scheidet aus, da er mich über Geschäftsreisen stets auf dem Laufenden hält.

Um ein eventuell vorgezogenes Auktionsende zu verhindern oder zumindest zu erschweren, biete ich den geforderten dreistelligen Startpreis. Ich bin fest entschlossen das Gemälde zu kaufen, falls ich den Ritter vor Ablauf der Auktion nicht erreiche. Gedanklich lege ich bereits mein Limit fest. Für meine Verhältnisse ist es sehr hoch, aber dem Wert des Gemäldes angemessen.

Am späten Abend schicke ich dem Ritter eine SMS. Bei dieser Art der Kontaktaufnahme, kann ich das Mobiltelefon gleich in der Hand behalten, da die Rückmeldung unmittelbar erfolgt. So ist es auch diesmal. Das Geschäftsessen ist vorbei. Der Ritter schaltet seinen Rechner an und betrachtet die Fotos der Internet-Auktion. Er ist begeistert! Ich übersetze ihm die deutsche Beschreibung und informiere ihn kurz über Gustav Schönleber, den er bislang nicht kannte. Wir vereinbaren, dass der Römer sein Gebot erst kurz vor Schluss der Auktion abgibt. Er nennt mir den Betrag, und ich bin beruhigt; denn er wird wohl ausreichen, die Auktion für den Ritter zu entscheiden.

Am darauf folgenden Tag möchte ich mir das spannende Ereignis nicht entgehen lassen und sitze schon zehn Minuten vor Auktionsschluss mit klopfendem Herzen vor dem Monitor. Zu meinem Erstaunen bin ich noch immer Höchstbietende. Doch erfahrungsgemäß geben die meisten potenziellen Käufer ihr Gebot erst in den letzten Minuten ab, die ganz besonders Nervenstarken sogar erst während der letzten Sekunden. So haben andere Interessenten keine Zeit mehr ihr Gebot zu erhöhen. Die letzte Minute bricht an, und nichts hat sich bisher bewegt. Ich lasse die Bieterliste nicht aus den Augen, aktualisiere sie im 5-Sekunden-Takt. Wo bleibt der Römer? ...Endlich! Wenige Sekunden vor Schluss erscheint sein Pseudonym in der Liste. Die Auktion ist vorbei! Niemand sonst hat ein Gebot abgegeben. Das Gemälde geht für nur einen Euro über dem Startpreis nach Rom! Ungläubiges Erstaunen darüber, dass kein anderer dieses wunderschöne Gemälde haben wollte, mischt sich mit Freude und Jubel über unseren erneuten gemeinschaftlichen Sieg.

Schon flattert eine Email aus Rom herein: Freude - Freude - Freude ...und GRAZIE! Dann eine zweite, er habe sich gerade noch einmal die Fotos unseres Gemäldes angeschaut. Seine Begeisterung für die leuchtende kleine Landschaft findet kein Ende.
[Ho riguardato le fotografie del dipinto che abbiamo vinto: è davvero bello e luminoso! È un piacere essere tuo socio in affari.]
Zwei Wochen wird er sich gedulden müssen, das Bild im Original zu sehen .... und ich noch ein bisschen länger.

Drei Wochen nach der Auktion landen mein Mann und ich am späten Nachmittag in Rom-Fiumicino. Der Ritter bedauert, uns nicht wie geplant vom Flughafen abholen zu können, da er erst am Abend aus Palermo zurückkomme. Gleich nach der Ankunft habe er auch noch ein Geschäftsessen. Von meinem Vorschlag, einander am nächsten Tag zu treffen, schließlich seien wir zehn Tage in der Stadt und hätten genügend Zeit füreinander, will er aber nichts wissen. Er sei überhaupt nicht erschöpft, und wenn auch wir nicht müde seien, würde er uns sehr gern noch am gleichen Abend sehen. Gegen 23:00 Uhr schnurrt mein Mobiltelefon: eine SMS vom Ritter. Er habe die "Tafelrunde" aufgehoben, in zehn Minuten sei er auf dem Celio. Kurz darauf biegt sein Wagen in die Via Marco Aurelio ein. Wir drei fallen einander in die Arme, baci und abbracci nach italienischer Sitte, ein ganzes Jahr lang haben wir uns nicht gesehen. Dann öffnet er den Kofferraum, "Ich muss euch etwas zeigen", sagt er und präsentiert uns mit strahlendem Lächeln das Hofelich-Schönleber-Gemälde. "Schaut es euch an, ist es nicht wunderschön?" Wir stecken die Köpfe zusammen und betrachten das bezaubernde ligurische Städtchen am Meer. Das sanftgelbe Licht der römischen Straßenlaterne verleiht den warmen Farben des Gemäldes noch eine Art zusätzlichen Sepia-Effekt. "Grazie", sagt der Ritter leise und haucht mir ein freundschaftliches Küsschen auf die Wange. Dann verstaut er das Prachtstück wieder sorgfältig, und wie in den Jahren zuvor bricht mit uns zu einer Fahrt durch das nächtliche Rom auf. Im Canova an der Piazza del Popolo stoßen wir auf unser erfolgreiches Auktions-Abenteuer an, auf unser Wiedersehen und auf die bevorstehenden gemeinsamen Tage.


C.W. - Der Entdecker -

Abschließend möchte ich mich an dieser Stelle von ganzem Herzen bei dem freundlichen Kunst- und Italienliebhaber bedanken, der das Gemälde unter Tausenden, die permanent in Online-Auktionen angeboten werden, entdeckte und der es trotz mangelhafter Beschreibung LUDWIG HOFELICH zuordnen konnte. Ohne C.W. wäre dieses Hofelich-Abenteuer nicht möglich gewesen. Ich bin dankbar für die Bereitschaft des wachsamen Sammlers, mich auch zukünftig auf HOFELICH-Gemälde aufmerksam machen zu wollen. Des weiteren bedanke ich mich für den erfrischenden, interessanten Austausch, für die vielen schönen Fotos und unser einzigartiges "Gärtenraten". Grazie, Clemente!



02.06.2013

© 2004-2019 Gabriele Wittfeld