Theodor Walz, Rom 1942

Clemente stellte seine Teetasse ab und sah mich verwundert an: "Wollen Sie tatsächlich die Harmonie zerstören, indem Sie diesen Walz dazwischenhängen?" Seine etwas abfällige Art zu fragen ließ vermuten, dass er Theodor Walz nicht übermäßig schätzte. Mein Gast machte ein säuerliches Gesicht und wandte seinen skeptischen Blick wieder den Hofelich'schen Gemälden zu. Die Vorstellung, eine Rom-Ansicht des Hohenloher Künstlers zwischen bayrischen Winterlandschaften Ludwig Hofelichs zu platzieren, schien ihm geradezu physischen Schmerz zu bereiten. Der Berliner Schriftsteller, Maler und feinsinnige Kunstliebhaber hatte eine Vortragsreise nach Stuttgart mit einem Besuch bei uns verbunden und begutachtete nun die Hofelich-Gemälde, die er bisher nur aus den virtuellen Galerien meiner Homepage kannte.

Ich muss gestehen, dass ich es mir zunächst selbst nicht hatte vorstellen können, die Bilder an der Wand, die ausschließlich Werken Ludwig Hofelichs vorbehalten war, noch mal umzuhängen. Und doch galt es Raum zu schaffen für ein Gemälde, das mir ebenfalls am Herzen lag. Noch lehnte es ungerahmt am Bücherschrank, und sein täglicher Anblick mahnte mich stumm, es doch endlich angemessen in Szene zu setzen. Genügend freie Fläche gab es allenfalls im Treppenhaus, aber dorthin wollte ich dieses Gemälde nicht verbannen. Mit einem flüchtig-raschen Blick im Vorbeigehen mochte ich mich einfach nicht begnügen. Walz' Rom wollte ich von meinem Essplatz aus im Blickfeld haben.

Lange hatte ich gehofft, dass eine Rom-Ansicht von Ludwig oder Wilhelm Hofelich auf dem Kunstmarkt auftauchen möge. Doch in all den Jahren, in denen ich den Markt beobachtete, sah ich kaum mehr als ein halbes Dutzend Hofelich'sche Italien-Motive. Darunter fand sich ein Ölgemälde Wilhelms mit Blick auf ein römisches Aquädukt, dahinter der Bracciano-See, der Horizont begrenzt durch die Sabatiner Berge. Dieses Latium-Motiv blieb das einzige, das die Nähe Roms erahnen ließ.

Dann entdeckte ich in einem Stuttgarter Auktionshaus eine Rom-Ansicht, die mir auf Anhieb gefiel. Es gab keine der spektakulären Sehenswürdigkeiten zu bewundern, an denen die Stadt so überreich ist. Vielmehr war es die Atmosphäre des Gemäldes, die mich sofort in ihren Bann zog. Genauso empfinde ich Rom, so nehme ich das Bild der Stadt nach jedem Besuch in meiner Erinnerung mit nach Hause und so empfängt mich die Stadt bei jeder Wiederkehr. Mit den warmen, farbsatten Siena- Ocker- und Umbratönen der Fassaden, dem intensiven Licht und den scharfen Schatten, mit dem weiten, blauen Himmel über weiß schimmernden Kuppeln und begrünten Dachgärten.

Walz Gemälde

Ich stellte mir vor, dass es auch Wilhelm gefallen haben mochte, eine ähnlich intim anmutende Sicht auf Rom festzuhalten. Nicht den atemberaubenden Blick vom Gianicolo oder das immer wieder überwältigende Panorama vom Pincio aus. Wer sich mit Wilhelm Hofelichs Motiven und denen seines Vaters beschäftigt hat, kennt den Hang beider Maler, nicht nur grandiose Landschaften wiederzugeben, sondern auch die Atmosphäre kleiner, sehr privater Milieus einzufangen: Innenhöfe, Seitengassen, stille Winkel, Gärten oder wie hier die Dachterrassen-Idylle inmitten einer 3-Millionen-Metropole.

Das Gemälde war mit "Theo Walz, Rom 1942" bezeichnet. In Kunstauktionen waren mir hin und wieder italienische Landschaften dieses Malers aufgefallen, viel wusste ich jedoch nicht über ihn. Dabei handelt es sich bei Walz um einen namhaften Künstler des Hohenloher Raumes. 1892 in Stuttgart geboren, und somit nur um 10 Jahre jünger als sein Münchner Malerkollege Wilhelm Hofelich, schien mir Walz' Blick auf Rom auch von der Malergeneration her ein würdiger Ersatz für ein fehlendes, entsprechendes Werk Wilhelms zu sein. Ich beschloss, das Gemälde zu kaufen und konnte die Auktion schlussendlich gegen ziemlich hartnäckige Konkurrenz für mich entscheiden.

Der Liste der Stipendiaten der Deutschen Akademie in Rom entnahm ich, dass Theodor Walz in den Jahren 1941/1942 das überaus begehrte Stipendium erhielt, eine der wichtigsten Auszeichnungen Deutschlands für herausragende Künstler, und in der Villa Massimo Quartier beziehen durfte. Aus dieser Zeit stammt das mit "Dachgärten über der Via Margutta" betitelte Gemälde. Man schaut vom Viale Trinità dei Monti hinunter durch die Häuserschlucht des schmalen Vicolo del Bottino, der nach wenigen Metern in die Piazza di Spagna mündet. Heute führt die kleine Gasse direkt von der Piazza zum Eingang der Metrostation Spagna. Walz' Lokalisierung "Via Margutta" ist falsch gewählt; denn die Margutta liegt, vom Betrachter aus gesehen, deutlich weiter rechts und ist auf Walz' Gemälde nicht mehr erfasst.

Für mich hat der dargestellte Stadtlandschaftsausschnitt noch eine besondere Bedeutung. Als ich das erste Mal in die Ewige Stadt kam, holte uns unser römischer Freund am Ankunftsabend vom Hotel ab, um mit uns in einem Restaurant in der Via della Vite essen zu gehen. Er parkte den Wagen im Viale Trinità dei Monti - wenige Schritte von Walz' Malerstandort - und führte uns dann die Spanische Treppe hinunter zur Piazza. Damals hatte ich den Stadtplan noch nicht im Kopf und vermochte mich in Rom nur grob zu orientieren. Walz' Blick auf die Stadt, der sich mir eröffnete, als ich aus Paolos Wagen stieg und den Viale Trinità dei Monti in Richtung Spanische Treppe ging, vermischte sich mit all den anderen faszinierenden Eindrücken, die an diesem ersten römischen Abend auf mich einströmten.

Als ich dem römischen Freund ein Foto unserer Neuerwerbung schickte, bestätigte er mir sofort Malerstandort und Aussicht. Die Palme befindet sich auf der Piazza di Spagna. Die weiße Kuppel im Mittelgrund gehört zur Kirche Santi Ambrogio e Carlo, kurz San Carlo al Corso genannt. Die Kuppel rechts im Hintergrund ist die des Petersdoms, und der Hügel am rechten Horizont ist der Monte Mario. Walz müsse, so Paolo, von der Piazza di Spagna aus gesehen, wenige Schritte links der Kirche Santa Trinità dei Monti gestanden haben.

Kurze Zeit nach dem Bilderkauf war ich wieder in Rom und suchte unverzüglich den Malerstandort auf. Fast 70 Jahre nach Walz wünschte ich mir, an jener Stelle zu stehen, um dem Eindruck nachzuspüren, den der Künstler damals beim Blick auf die Dachgärten empfunden haben mochte. Doch als ich die Spanische Treppe erklommen hatte und erwartungsfroh in den Viale Trinità dei Monti bog, sah ich das Dilemma: Der Walz'sche Standort war durch einen hohen, blickdichten Bauzaun hermetisch abgeriegelt! Die Enttäuschung war mir wohl ins Gesicht geschrieben. Denn als ich meinen Fotoapparat unverrichteter Dinge wieder im Rucksack verstauen wollte, nahm ihn mir mein Mann aus der Hand und kletterte mutig auf die Mauer zum U-Bahnschacht. Sportlich, völlig schwindelfrei und ein gutes Stück größer als ich, stand mein Held am Rande des Abgrunds, hielt den Fotoapparat mit hochgestreckten Armen über den Bauzaun und drückte auf den Auslöser.

Die blind in Richtung Walz-Panorama geschossenen Fotos schienen zunächst ganz brauchbar zu sein. Doch als wir einige Monate später wieder nach Rom kamen, waren die Bauarbeiten beendet und der Zaun verschwunden. Ohne waghalsige Kletterpartien konnten wir nun völlig barrierefrei den Punkt erreichen, an dem Theodor Walz 1942 gestanden haben musste. Ein junges chinesisches Paar rastete auf der Mauer und ließ die Beine baumeln. Ich sprach es an, zeigte ihnen eine Farbkopie des Gemäldes und erklärte kurz, dass ich gern ein paar Aufnahmen machen würde. Die beiden hörten aufmerksam zu, verglichen interessiert das Panorama von 1942 mit jenem von 2010 und rückten bereitwillig zur Seite.

Blick 1 Blick 2

Rein baulich hat sich dank der strengen Auflagen für Roms historisches Zentrum kaum etwas verändert. Die Farben der Fassaden leuchten in warmen Ocker- und Rottönen in der Mittagssonne. Der Dachgarten zur Linken dient heute, bestückt mit Sonnenschirm und Wärmepilz, der Weinbar "Il Palazzetto" als Aussichtsterrasse. Üppiges Grün schützt die Bewohner des Dachgartens zur Rechten vor neugierigen Blicken. Die davor liegende Dachterrasse wird gerade restauriert. Auf der Piazza di Spagna hält die alte, leicht nach links geneigte Palme nach wie vor die Stellung. In fast sieben Jahrzehnten hat sie beträchtlich an Höhe zugelegt. Sie steht aber nicht mehr einsam und allein auf der Piazza, ein Souvenir- und Ansichtskartenhändler hat an ihrem Fuße einen Verkaufsstand installiert. Direkt daneben weist ein rotes Schild mit weißem M auf die nahe Metro-Station hin. Autos rollen über die Piazza; Menschen auf ihrem Weg von und zur U-Bahn beleben die Szene. Denkt man sich all den Trubel weg, lässt sich das Panorama erahnen, so wie Walz es sah.

Nach Hause zurückgekehrt, kündigte uns der Anruf des Rahmenbauers an, dass das Walz-Gemälde abholbereit sei. Diesmal war uns die Rahmenwahl nicht leicht gefallen. Unser hochbetagter Vergoldermeister, der uns immer gut beraten hatte, hatte seine jahrelanger Ankündigung, die Werkstatt demnächst schließen zu wollen, tatsächlich wahr gemacht und sich zur Ruhe gesetzt. Einen Nachfolger gab es nicht. Schließlich hatten wir einen begabten, sehr von sich überzeugten Rahmenkünstler gefunden, der uns zunächst seinen eigenen Geschmack hatte aufdrängen wollen. Etwas beleidigt und mit langem Gesicht, war er dann aber schließlich doch bereit gewesen, dem Kundenwunsch zu entsprechen und das Gemälde so zu rahmen, wie wir es gern wollten. Er konnte ja nicht ahnen, dass Walz' römisches Sommerbild demnächst zwischen Hofelichs bayrischen Winterbildern hängen sollte. Um wenigstens ein Mindestmaß an Geschlossenheit zu wahren, mussten wir einen Kompromiss eingehen und einen nicht ganz gegensätzlichen Rahmen wählen.

Als wir in der Werkstatt eintrafen, um das Bild in Empfang zu nehmen, kam uns der Rahmenbauer gut gelaunt entgegen. Die Rahmung sei hervorragend gelungen, rief er fröhlich aus, einfach fantastisch, er sei völlig überrascht, wie perfekt Bild und Rahmen miteinander im Einklang stünden. Wir freuten uns, dass der Meister unserer Rahmenwahl im Nachhinein doch noch seinen Segen gab und trugen unser Rom-Bild glücklich nach Hause.

Ein paar Tage ließ ich mir noch Zeit, ehe ich mein Werkzeug holte, um die Neuanordnung der Bilder vorzunehmen. Ich atmete tief durch, dann begann ich entschlossen mein Zerstörungswerk, fest darauf bauend, dass mir die zukünftige Hängung gefallen möge. Walz' Rom, mit einem Format von ca. 80 x 60 cm das größte der Gemälde, bekam den zentralen Platz und würde die Bilderwand von nun an dominieren. Hofelichs Ismaninger Winterlandschaften erhielten ihren Platz links und rechts daneben. Ein wenig bang trat ich zurück... und war doch gleich zufrieden. Trotz aller Verschiedenheit empfand ich die Hängung als stimmig. Jegliche Skepsis verflog. Ich freute mich auf meinen täglichen Blick auf Rom, direkt von meinem Essplatz aus!

Während ich Hammer und Wasserwaage im Werkzeugkasten verstaute, musste ich an Clemente denken. Was würde er wohl zu dem Bilder-Mix sagen? Ich fotografierte die neue Anordnung der Gemälde und schickte ihm das Foto. Mail wendend traf die knappe, aber anerkennende Antwort des gestrengen Berliner Kunstfreundes ein: "Gratuliere zu Hängung und Rahmen!!!"

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THEODOR (THEO) WALZ

geb. 31.03.1892 in Stuttgart
gest. 16.02.1972 in Langenburg

ist einer der bekanntesten Künstler des Hohenloher Raumes. Er lernte in Stuttgart den Lithografenberuf. Ab 1910 ging er ins Ausland, darunter auch nach Italien (zu Fuß!). 1914 endete seine Reise in Sizilien und führte ihn anschließend auf die Schlachtfelder des I. Weltkrieges.

Nach dem Krieg besuchte er die Akademie der bildenden Künste in Stuttgart bei Professor Christian Landenberger. Als selbständigen Maler zog es Walz oft nach Italien, dem Land, dem seine ganze Liebe gehörte.

Von 1927-1930 lernte er an der Kunsthochschule bei Professor von Eiff den Glasschliff.

1941 und 1942 erhielt Walz ein Stipendium der Deutschen Akademie in Rom (Rompreis).

1943 wurde Theo Walz im Schellenkönig-Atelier in Stuttgart ausgebombt und zog als Evakuierter nach Schloss Stetten in Hohenlohe. Gegen Ende des II. Weltkrieges wurde der inzwischen 53jährige Künstler noch für 9 Monate Soldat in Eger.

1958 gründete Walz zusammen mit Freunden den Hohenloher Kunstverein und wurde dessen 2. Vorsitzender; Präsident war Hans Sehl. Bis 1967 wohnte Walz auf Schloss Stetten, danach zog er nach Langenburg, wo er bis zu seinem Tode lebte.



02.06.2013

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